Beim Stöbern in altem Krims und noch älterem Krams. In einem Karton im Keller. Jetzt, wo er es sieht, kann er sich wieder erinnern. Sein Opa hat es schon benutzt. Zum Rasieren.

Bild Rasiermesser
Vorsichtig nimmt er das Messer aus dem Etui. Es muss mal wieder geschliffen werden, denkt er sich. Er nimmt es mit nach oben in die Küche. Er schleift. Geduldig. Mit Liebe. Er lässt sich Zeit, bis das Messer so scharf ist, dass er ein herunterfallendes Haar in der Luft spalten kann. Der Länge nach.
Er steckt das Messer in seine Hosentasche. Er entkorkt seinen besten Rotwein, den er sich für eine besondere Gelegenheit aufgehoben hat. Barolo, 1982. Erst mal atmen lassen. Er macht ein Nickerchen. Träumt. Fantasiert.
Viertel vor 12, kurz vor Mitternacht. Er gießt sich ein Glas von dem edlen Rotwein ein. Er raucht genüsslich eine Zigarette, was er nur noch ganz selten tut. Er spielt mit dem Rasiermesser. Ritzt sich den Fingernagel. Ritzt sich die Haut. Ein einsamer Blutstropfen fällt auf den Küchenboden. Dunkelrot zerplatzt er auf der weißen Fliese. Nur einer. Schlag Mitternacht geht er raus.
Es ist stärker als er. Er spaziert, seltsam erregt, aufgeregt durch die Straßen und schaut sich die Menschen an. Dann. Plötzlich. Das ist sie. Wunderschöne lange, dunkle Haare. Zu einem Zopf geflochten. Vorsichtig nähert er sich von hinten. Niemand nimmt Notiz von Ihm. Leise, kaum wahrnehmbar, läuft er hinter ihr. Er tut unbeteiligt. Sie biegt in eine Seitenstraße. Nur sie. Keiner schaut. Mit einem Griff packt er sie am Zopf. Ein schneller Schnitt. Dann ist er auch schon verschwunden.
Niemand beachtet ihn, als er den Zopf wie eine Peitsche schwingt, beschwingt. Zu Hause angekommen, öffnet er den Kleiderschrank. Mit einer Klammer befestigt er den Zopf an einem Bügel. Neben den anderen Zöpfen.
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